Dieser Eintrag war in der 22. Woche
des Jahres 2009 das Wort der Woche.
Singular Plural
Nominativ der Hahnrei die Hahnreie
Genitiv des Hahnreis der Hahnreie
Dativ dem Hahnrei den Hahnreien
Akkusativ den Hahnrei die Hahnreie

Worttrennung:

Hahn·rei, Plural: Hahn·reie

Aussprache:

IPA: [ˈhaːnˌʁaɪ̯]
Hörbeispiele:   Hahnrei (Österreich) (Info)   Hahnrei (Info)

Bedeutungen:

[1] Ehemann, dessen Frau fremdgeht und der dies hinnimmt, um den Frieden im Haus nicht zu gefährden; im Gegensatz zu vielen anderen betrogenen Ehemännern macht ein Hahnrei keinerlei Anstalten, sich für den Ehebruch seiner Frau zu rächen (in früheren Zeiten zum Beispiel dadurch, dass er den Nebenbuhler straffrei umbrachte). Damit verstieß er damals sowohl gegen die weltlichen wie gegen die kirchlichen Gesetze und beging sogar eine Todsünde. Die Öffentlichkeit reagierte auf solches Verhalten mit vielerlei Erniedrigungen des Hahnreis. So wurde er mit Hörnern oder einem Geweih ausgestattet und rückwärts auf einen Esel gesetzt, den man dann durch die ganze Stadt führte.[1]
[2] veraltete Bedeutung: Ehebrecher
[3] veraltete Bedeutung: eine Schneckenart (Murex cornutus)
[4] veraltete Bedeutung, in Mecklenburg, Pommern und um Göttingen: ein Kartenspiel

Herkunft:

[1, 2] Hahnrei ist wohl aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche gekommen: Das mittelniederdeutsche hānenreyge, hānenrey, hānrey oder hānreyge gelangte als hanerei oder hanereie ins Mittelhochdeutsche. Die mittelhochdeutschen Formen sind nur spärlich belegt und hatten ursprünglich die Bedeutungen ‚Kapaun‘ und ‚Ehebrecher‘. Der Ehebrecher findet sich im dialektischen hochdeutschen reihisch, reisch und reinischbrünstig‘ sowie im ebenfalls dialektischen hochdeutschen reihen ‚sich paaren (insbesondere in Bezug auf Vögel)‘ und weiterhin im althochdeutschen reiniscāri und reiniscros oder wreiniscrosDeckhengst‘ wieder. Die letztgenannten Wörter scheinen auf das germanische *wreih-a-decken, bespringen‘ zurückzugehen, was den Schluss zulässt, dass ein Hahnrei zunächst für ‚sexuell aggressiver Hahn‘ stand und dies auf Menschen übertragen wurde.[2]
Die Bedeutung ‚Kapaun‘ und allgemein das Bild des verschnittenen Tieres passt zum niederdeutschen rūn sowie dem mittelniederländischen rune und ruynkijn und außerdem zum archaischen schwäbischen raunWallach‘.[2] Auch lässt sich dies zum Beispiel im 16. und 17. Jahrhundert im ostfriesischen hānrūne ‚Kapaun, Impotenter, Hahnrei‘ nachweisen und erklärt zudem die Redewendung jemandem die Hörner aufsetzen, die Bezug auf einen früheren Brauch nimmt, bei dem einem Kapaun die abgeschnittenen Sporen in den Kamm gesetzt wurden, wo sie wie Hörner weiterwuchsen.[3] Übertragen auf den Menschen könnte dies bedeuten, dass eine Ehegattin, die ihren Mann betrügt, ihn wie einen Kastraten behandelt.[1] Über hānrūne könnte sich ein Anschluss an das ostfriesische rune, rūn, rūne sowie an das mittelniederdeutsche rune, das mittelniederländische ruun, rūne und schließlich an das niederländische ruin → nl ‚Wallach‘ ergeben, die alle auf das indoeuropäische *reu- oder *reṷə-aufreißen, graben‘ zurückgehen.[4] Wie verlässlich jener friesische Beleg ist, ist indes ungewiss. Jedenfalls könnte er darauf hindeuten, dass sich beide Ansätze – Ehebrecher und Kapaun – miteinander vermischt haben.[2]
Speziell zum zweiten Teil des Wortes gibt es die Vermutung, dass er mit dem mittelhochdeutschen reie oder reige oder dem mittelniederdeutschen rei oder reie (Vorformen von Reigen) verbunden ist.[5] Ein Hahnrei wäre demnach jemand, der sich zu den (geilen) Hähnen in den Reigen gesellt.[1] Daneben wurde der Versuch gemacht, über die im älteren Neuhochdeutschen vorkommenden Formen Hahnreh und Hahnree eine Beziehung zwischen Hahnrei und Reh herzustellen.[4] Dies ließe sich unter Umständen dadurch untermauern, dass Kapaune wegen ihrer „Hörner“ Ähnlichkeit mit Rehen hatten.[1] Diese beiden Theorien sind aber wahrscheinlich eher volkstümlich.[4]
Andere, ebenfalls wenig überzeugende Erklärungsversuche stellen Hahnrei zum französischen Vornamen Henry → fr oder Henri → fr (da Abraham a Sancta Clara einen Hahnrei bei diesem Namen nenne)[6][7], zum bretonischen hannerey → brHälfte‘ (ein Hahnrei wäre also ein halber Mann) oder zum nordischen -rehemüde‘ (Hahnreie wären wie ermüdete Hähne).[7]

Synonyme:

[1] Gehörnter, Hirsch (scherzhaft)
[3] wissenschaftlich: Murex cornutus

Oberbegriffe:

[3] Kartenspiel, Spiel

Beispiele:

[1] Du hast dich diesem Kerl an den Hals geworfen und mich öffentlich zum Hahnrei gemacht!
[1] „Ich wußte, nichts würde mehr wie früher sein: Ich würde den Freund meines Vaters zum Hahnrei machen, ich würde die mir so großzügig gewährte Gastfreundschaft mißbrauchen, ich würde dem Mann ins Gesicht spucken, der mir die Hand gereicht hatte.“[8]
[1] „Mit seinem Leben als Hahnrei war jetzt bestimmt ebenfalls Schluss.“[9]
[1] „Die letzte zu zwölf Guineen lud ich meines guten Rufes halber zum Souper ein; doch lag mir nichts daran, den Lord zum Hahnrei zu machen.“[10]
[1] „Flugs deklarierte Bronnen sich als unehelichen Sohn – bezichtigte seine Mutter des Ehebruchs und machte seinen Vater zum Hahnrei – und brachte irgendwelche ›Beweise‹ bei dass er ein Fehltritt seiner Mama mit einem arischen Erzeuger gewesen sei.“[11]
[2]

Redewendungen:

[1] jemanden zum Hahnrei machen

Wortbildungen:

Hahnreifarbe, Hahnreihistorie, Hahnreimachen, Hahnreimacher, Hahnreinuss, Hahnreiorden, Hahnreischaft, Hahnreiwesen

Übersetzungen

Bearbeiten
[1] Wikipedia-Artikel „Hahnrei
[1] Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache „Hahnrei
[1] Duden online „Hahnrei
[1] Großes Wörterbuch der deutschen Sprache „Hahnrei“ auf wissen.de
[1, 3, 4] Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 16 Bände in 32 Teilbänden. Leipzig 1854–1961 „Hahnrei
[2] Pierer’s Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart. 4., umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. 19 Bände. Altenburg 1857–1865 „Hahnrei
[*] Uni Leipzig: Wortschatz-PortalHahnrei

Quellen:

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Klaus Müller (Herausgeber): Lexikon der Redensarten. Herkunft und Bedeutung deutscher Redewendungen. Bassermann Verlag, München 2005, ISBN 3-8094-1865-X, DNB 974926760, „jmdn. zum Hahnrei machen“, Seite 211.
  2. 2,0 2,1 2,2 Friedrich Kluge, bearbeitet von Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24., durchgesehene und erweiterte Auflage. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001, ISBN 978-3-11-017473-1, DNB 965096742, „Hahnrei“, Seite 384.
  3. Wolfgang Pfeifer et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 8. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, ISBN 3-423-32511-9, unter „Hahn“, Seite 495.
  4. 4,0 4,1 4,2 Wolfgang Pfeifer et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 8. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, ISBN 3-423-32511-9, unter „Hahn“, Seite 496.
  5. Wolfgang Pfeifer et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 8. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005, ISBN 3-423-32511-9, unter „Hahn“, Seite 495 f.
  6. Jacob Grimm, Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 16 Bände in 32 Teilbänden. Leipzig 1854–1961 „Hahnrei“.
  7. 7,0 7,1 Pierer’s Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart. 4., umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. 19 Bände. Altenburg 1857–1865 „Hahnrei“.
  8. Harold Nebenzahn: Café Berlin. 3. Auflage. Haffmans Verlag, Zürich 1995, S. 103 f. ISBN 3-251-00258-9.
  9. Ernest Hemingway: Schnee auf dem Kilimandscharo. Storys. Rowohlt, Reinbek 2015, Zitat Seite 215. Englische Originalausgabe Scribner, New York 1961.
  10. Giacomo Casanova: Geschichte meines Lebens, herausgegeben und eingeleitet von Erich Loos, Band IX. Propyläen, Berlin 1985 (Neuausgabe) (übersetzt von Heinz von Sauter), Seite 241.
  11. Carl Zuckmayer: Geheimreport. Herausgegeben von Gunther Nickel und Johanna Schrön. 2. Auflage. Wallstein, Göttingen 2002, ISBN 3-89244-599-0, Seite 67. Entstanden 1943/44. Komma fehlt im Original.