Antisemitismus (Deutsch) Bearbeiten

Substantiv, m Bearbeiten

Singular Plural
Nominativ der Antisemitismus die Antisemitismen
Genitiv des Antisemitismus der Antisemitismen
Dativ dem Antisemitismus den Antisemitismen
Akkusativ den Antisemitismus die Antisemitismen
 
[1] Antisemitismus ist auch das öffentliche Herabwürdigen und Zurschaustellen von Juden, wie hier 1933 in München.
 
[1] Ein Boykott von jüdischen Kaufleuten ist Antisemitismus (hier 1933 vor dem Warenhaus Tietz in Berlin).
 
[1] Bei einem Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) im Jahr 2020 wurde mörderischer Antisemitismus in Deutschland sichtbar für alle.

Worttrennung:

An·ti·se·mi·tis·mus, Plural: An·ti·se·mi·tis·men

Aussprache:

IPA: [ˌantizemiˈtɪsmʊs], [ˈantizemiˌtɪsmʊs]
Hörbeispiele:   Antisemitismus (Info)
Reime: -ɪsmʊs

Bedeutungen:

[1] pauschale Ablehnung von Juden, Feindseligkeit gegenüber Juden (aus rassischen und politischen, aber auch aus religiösen und sozialen Gründen)

Herkunft:

Das Wort wird um 1879 im Umkreis des deutschen Publizisten Wilhelm Marr gebildet aus Anti-/anti- und Semitismus, einer Ableitung zu Semit.[1][2]
(Laut zweier anderer Quellen, deren Wortanalyse jedoch computergeneriert ist, handele es sich um eine Derivation des Substantivs Antisemit mit dem Suffix -ismus.)[3]
Im späten 18. Jahrhundert wird die Bezeichnung Semit, abgeleitet von Sem, dem biblischen Namen des Sohnes von Noah und des Stammvaters einer Völkergruppe, aus der theologisch-historischen Literatur in die Sprachwissenschaft und Völkerkunde eingeführt und mit einer – zunächst noch wertfreien – Charakterisierung des Geistes und der Kultur dieser Völker verbunden.[1][2] Unter dem Einfluss der aufkommenden pseudowissenschaftlichen Rassenlehre werden Semit und Semitismus (um 1860) zunehmend negativ akzentuiert und als abwertende Bezeichnungen für die Juden gebraucht, was schließlich im Zusammenhang mit der in den 1870er Jahren (besonders angesichts der angeblich von den Juden verschuldeten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Missstände) sich verstärkenden judenfeindlichen Bewegung und im Zuge der antijüdischen Publizistik (zum Beispiel: Treitschke) zur Bildung von je nach Standpunkt und historischem Kontext unterschiedlich bewerteten Gegenbegriffen (nämlich Antisemit, Antisemitismus) führte, die insofern irreführend sind, als sich der Antisemitismus nicht gegen alle Semiten (zum Beispiel Araber) richtet, sondern ausschließlich gegen die Juden.[1][2]
Bereits gegen Ende desselben Jahrhunderts ist das Wort rasch in anderen Sprachen verbreitet, zum Beispiel französisch antisémitisme → fr, englisch antisemitism → en, spanisch antisemitismo → es und italienisch antisemitismo → it.[1][2]

Synonyme:

[1] Antijudaismus, Judendiskriminierung, Judenfeindlichkeit, Judenfeindschaft, Judenhass

Sinnverwandte Wörter:

[1] Judeophobie

Gegenwörter:

[1] Philosemitismus

Oberbegriffe:

[1] kultureller Rassismus/Kulturalismus

Beispiele:

[1] „In der Verkleidung des Antiſemitismus, dieſes bequemen Vorwandes zur Bekundung von Leidenſchaften, die ſich unter ihrem eigentlichen Namen nicht ſehen laſſen dürften, tritt bei den Armen und Unwiſſenden der Haß gegen die Beſitzenden, bei den Nutznießern mittelalterlicher Vorrechte, alſo bei den ſogenannten privilegirten Klaſſen, die Furcht vor begabteren Mitbewerbern um Einfluß und Macht, bei der verworren idealiſtiſchen Jugend eine übertriebene und unberechtigte Form des Patriotismus, nämlich die unerfüllbare Forderung nicht blos politiſcher Einheit des deutſchen Vaterlandes, ſondern auch ethniſcher Einheit des deutſchen Volks zu Tage.“[4]
[1] „Unser heutiger Antisemitismus darf nicht mit dem religiösen Judenhasse früherer Zeiten verwechselt werden, wenn der Judenhass auch in einzelnen Ländern noch jetzt eine confessionelle Färbung hat. Der grosse Zug der judenfeindlichen Bewegung ist heute ein anderer. In den Hauptländern des Antisemitismus ist dieser eine Folge der Juden-Emancipation.“[5]
[1] „Der Antisemitismus als Volksbewegung war stets, was seine Anstifter den Sozialdemokraten vorzuwerfen liebten: Gleichmacherei.“[6]
[1] „Der neutestamentliche Satz: ‚Wer nicht für mich ist, ist wider mich‘ war von jeher dem Antisemitismus aus dem Herzen gesprochen.“[7]
[1] „Paranoia, der Verfolgungswahn, der die anderen verfolgt, auf die er projiziert, was er selber möchte, steckt an. Von kollektiven Wahnvorstellungen wie dem Antisemitismus wird die Pathologie des Einzelnen, der psychisch der Welt nicht mehr gewachsen sich zeigt und auf ein scheinhaftes inneres Königreich zurückgeworfen ist, bestätigt.“[8]
[1] „Man sollte glauben, daß nach dem schmählichen Zusammenbruch des europäischen Faschismus das Hauptmittel seiner demagogischen Propaganda, nämlich der Antisemitismus, bei aller Welt in Verruf geraten und als Denkungsweise unmöglich gewesen sein müßte.“[9]
[1] „Jene Leute, die einst den Mut aufbrachten, mit ihrem Leben einzustehen für die Rettung des Lebens anderer, haben heute, alt und müde geworden, nicht mehr die Kraft, sich zu ihrer noblen Tat von einst zu bekennen; sie fürchten die latenten Antisemitismen ihrer Umwelt, sie wollen lieber unerkannt bleiben; diese Tatsache muß uns erschrecken.“[10]
[1] „Und weil seit dem Mittelalter lange Zeit nur Juden solche Geschäfte ausüben durften, vom Handel und vom Handwerk ferngehalten wurden, lieferte das Metier auch gängige Vorwände für Antisemitismus.[11]
[1] „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“[12]
[1] „Trotzdem (…) wurden ‚die Juden‘ von vielen bekämpft, mit religiösen und ökonomischen Argumenten und schließlich immer stärker mit dem biologisch unterfütterten Antisemitismus, der die Auslöschung der fremden ‚Rasse‘ anstrebte und großenteils verwirklichte.“[13]
[1] „Besonders wichtig ist ihr der Kampf gegen den Antisemitismus.[14]
[1] „Die Behauptung, ein Jude könne kein Faschist sein, ist reiner Antisemitismus! Oder Philosemitismus. Philosemitismus und Antisemitismus sind ja nicht so weit voneinander entfernt.“[15]
[1] „Eine Angleichung, die im besondern bei den Juden durch den scharfen Antisemitismus im heutigen Rußland teils gefördert wird: denn man verbietet den Juden, hebräische oder jiddische Schulen zu errichten und ihr eigenes Schrifttum in den Originalsprachen lesen zu lernen.“[16]
[1] „Es darf nicht länger übersehen werden, wie »normal« der Antisemitismus geworden ist und von welchen Emotionen er heute noch mobilisiert und getragen wird.“[17]
[1] „Und wenn dieses Land, Deutschland, irgendeine Lehre aus der Geschichte ziehen muss - dann ist es, sich jedem Antisemitismus offensiv entgegenzustellen.“[18]
[1] „Tatsächlich schafft es diese Redakteurin, binnen weniger Zeilen das gesamte Repertoire modern gewendeter Antisemitismen einzuspielen.“[19]

Charakteristische Wortkombinationen:

[1] im Nominativ: Antisemitismus verbreitet sich, geht zurück
[1] im Dativ: sich mit Antisemitismus beschäftigen
[1] im Akkusativ: Antisemitismus hervorrufen, schüren; Antisemitismus thematisieren, verurteilen; Antisemitismus abbauen, abschaffen, abwehren; gegen Antisemitismus demonstrieren, sich gegen Antisemitismus engagieren
[1] mit Adjektiv: alltäglicher, gewöhnlicher, traditioneller Antisemitismus; anwachsender, verbreiteter, wachsender, zunehmender Antisemitismus; heimlicher, latenter, vermeintlicher Antisemitismus; militanter, offener, unverhohlener Antisemitismus; organisierter Antisemitismus; vorhandener Antisemitismus

Wortbildungen:

Antisemitismusbeauftragte, Antisemitismusbeauftragter, Antisemitismus-Bericht, Antisemitismusforscher, Antisemitismusforschung, Antisemitismusvorwurf

Übersetzungen Bearbeiten

[1] Wikipedia-Artikel „Antisemitismus
[1] Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache „Antisemitismus
[*] Online-Wortschatz-Informationssystem Deutsch – elexiko „Antisemitismus
[1] Online-Wortschatz-Informationssystem Deutsch – Fremdwörterbuch „Antisemitismus
[1] The Free Dictionary „Antisemitismus
[1] Duden online „Antisemitismus
[1] Wahrig Großes Wörterbuch der deutschen Sprache „Antisemitismus“ auf wissen.de
[1] Wahrig Fremdwörterlexikon „Antisemitismus“ auf wissen.de
[1] wissen.de – Lexikon „Antisemitismus
[*] PONS – Deutsche Rechtschreibung „Antisemitismus
[*] Uni Leipzig: Wortschatz-PortalAntisemitismus
[1] Hans Schulz, Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. 2. völlig neubearbeitete Auflage. 2. Band: Antinomie – Azur, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1996, ISBN 3-11-014816-1, DNB 947716777 (neubearbeitet im Institut für Deutsche Sprache unter der Leitung von Gerhard Strauß), Stichwort »Antisemitismus«, Seite 24–25 (Beispiele zum Lemma auf Seite 25–26).
[1] Renate Wahrig-Burfeind (Herausgeber): Wahrig, Fremdwörterlexikon. 4. Auflage. Bertelsmann Lexikon-Verlag, Gütersloh/München 2001, ISBN 978-3-577-10603-0, Stichwort »Antisemitismus«, Seite 66.
[1] Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Das Fremdwörterbuch. In: Der Duden in zwölf Bänden. 9. Auflage. Band 5, Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2006, ISBN 978-3-411-04059-9, DNB 98178948X (CD-ROM-Ausgabe), Stichwort »Antisemitismus«.
[1] Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Das große Fremdwörterbuch. Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter. 4. Auflage. Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2007, ISBN 978-3-411-04164-0, Stichwort »Antisemitismus«, Seite 116.
[1] Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Die deutsche Rechtschreibung. In: Der Duden in zwölf Bänden. 25. Auflage. Band 1, Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2009, ISBN 978-3-411-04015-5 (CD-ROM-Ausgabe), Stichwort »Antisemitismus«.
[1] Renate Wahrig-Burfeind: Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch. Mit einem Lexikon der Sprachlehre. In: Digitale Bibliothek. 9., vollständig neu bearbeitete und aktualisierte Auflage. wissenmedia in der inmedia ONE GmbH, Gütersloh/München 2012, ISBN 978-3-577-07595-4 (CD-ROM-Ausgabe), Stichwort »Antisemitismus«.
[1] Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Deutsches Universalwörterbuch. Das umfassende Bedeutungswörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. 8., überarbeitete und erweiterte Auflage. Dudenverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-411-05508-1, Stichwort »Antisemitismus«, Seite 166.

Quellen:

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Hans Schulz, Otto Basler: Deutsches Fremdwörterbuch. 2. völlig neubearbeitete Auflage. 2. Band: Antinomie – Azur, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1996, ISBN 3-11-014816-1, DNB 947716777 (neubearbeitet im Institut für Deutsche Sprache unter der Leitung von Gerhard Strauß), Stichwort »Antisemitismus«, Seite 24–25 (Beispiele zum Lemma auf Seite 25–26).
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Online-Wortschatz-Informationssystem Deutsch – Fremdwörterbuch „Antisemitismus
  3. Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache „Antisemitismus
  4. Max Nordau: Die conventionellen Lügen der Kulturmenſchheit. Achte Auflage. Verlag von Bernhard Schlicke (Balthaſar Eliſcher), Leipzig 1884, Seite 2 (Zitiert nach Google Books; Erstausgabe 1883).
  5. Theodor Herzl: DER JUDENSTAAT. VERSUCH EINER MODERNEN LÖSUNG DER JUDENFRAGE. 1. Auflage. M. BREITENSTEIN’S VERLAGS-BUCHHANDLUNG, LEIPZIG/WIEN 1896, Seite 24–25 (Zitiert nach Deutsches Textarchiv).
  6. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Querido, Amsterdam 1947, Seite 201 (Erschien zuerst unter dem Titel: Max Horkheimer, Philosophische Fragmente. 1944).
  7. Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1971, Seite 172 (Erstausgabe 1951).
  8. Theodor W. Adorno: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit. In: Gerd Kadelbach (Herausgeber): Erziehung zur Mündigkeit. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973, Seite 22.
  9. Thomas Mann: Gesammelte Werke. Band 13: Nachträge, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-10-048180-1, Seite 514 (Zitiert nach Google Books).
  10. Rolf Schneider: Einen ewigen Namen. In: DIE ZEIT. Nummer 47, 18. November 1983, ISSN 0044-2070, Seite 22 (DIE ZEIT Archiv-URL, abgerufen am 5. November 2017).
  11. Bruno Schrep: Der letzte Ausweg. In: DER SPIEGEL. Nummer 37, 7. September 2009, ISSN 0038-7452, Seite 42–44; Zitat Seite 43 (Die Rede ist vom Metier des Pfandleihers, DER SPIEGEL Archiv-URL).
  12. Antisemitismus in zwei Sätzen. tagesschau.de, 20. September 2017, abgerufen am 20. September 2017.
  13. Hermann Bausinger: Typisch deutsch. Wie deutsch sind die Deutschen? 5. Auflage. C.H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-59978-1, Seite 143.
  14. Steffen Möller: Expedition zu den Polen. Eine Reise mit dem Berlin-Warszawa-Express. Malik, München 2012, ISBN 978-3-89029-399-8, Seite 106.
  15. Britta Behrend (Interviewerin), Arnon Grünberg (Interviewter): GESPRÄCH: »Mit politischer Korrektheit spielen«. Der niederländische Schriftsteller Arnon Grünberg über schiefe Israel-Debatten, unsympathische Juden und seinen Roman »Der jüdische Messias«. In: Jüdische Allgemeine. Wochenzeitung für Politik, Kultur, Religion und jüdisches Leben. Nummer 21, 23. Mai 2013, ISSN 1618-9698, Seite 17.
  16. Salcia Landmann: Jiddisch. Das Abenteuer einer Sprache. Ullstein, Frankfurt am Main/Berlin 1988, ISBN 3-548-35240-5, Seite 26.
  17. Marina Chernivsky: Teil des Alltags. In: Jüdische Allgemeine. Wochenzeitung für Politik, Kultur, Religion und jüdisches Leben. Nummer 48, 30. November 2017, ISSN 1618-9698, Seite 1.
  18. Sascha Lobo: Die vielen Formen des Netz-Antisemitismus. In: Spiegel Online. 13. Dezember 2017, ISSN 0038-7452 (URL, abgerufen am 13. Dezember 2017).
  19. Johannes Heil: Wiedergeburt der Auschwitzkeule. Warum die »Thüringer Allgemeine« vor Scham im Boden versinken sollte. In: Jüdische Allgemeine Online. 25. Juli 2018, ISSN 1618-9701 (URL, abgerufen am 27. Juli 2018).